VfGH 4798

Konkordat, BGBl. II Nr. 2/1934; aus dem Aufsichtsverhältnis im Sinne des Art. XIII § 2 ist eine Befugnis, Ansprüche namens des den dort genannten kirchlichen Rechtssubjekten gehörenden Vermögens im Verwaltungsverfahren geltend zu machen, nicht ableitbar. Die Ordinarii sind durch Canon 1653 § 5 CIC. außerhalb kirchengerichtlicher Prozesse nicht zur Vertretung des Vermögens kirchlicher Rechtssubjekte im Sinne des Art. XIII § 2 erster Satz des Konkordates berufen. Keine Verletzung des Rechtes auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter

Erk. v. 5. Oktober 1964, B 45/64

Die Beschwerde wird abgewiesen und an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid vom 12. Juli 1962 hat die Bezirkshauptmannschaft J. gestützt auf § 49 Abs. 3 Steiermärkisches Landes-Straßenverwaltungsgesetz, LGBI. Nr. 20/1938 und Nr. 49/1954, die Zustimmung zu einem Gemeindestraßenbauvorhaben der Gemeinde P. erteilt. Im Spruch des Bescheides heißt es unter anderem: „Mit den betroffenen Grundstückseigentümern sind von der Gemeinde P. die „ Grundablöseverhandlungen durchzuführen”. Zu diesen notwendigen Grundstückseigentümern gehört auch die römisch-katholische Pfarrpfründe P.

Dagegen hat das „Bischöfl. Seckauer Ordinariat—Rechtsamt” Berufung erhoben, u. zw. „auch namens der unterstehenden Pfarrpfründe P. (Canon 1653 § 5 in Verbindung mit Artikel XIII geltendes Konkordat)”.

Die Berufung des Ordinariates ist von der Landesregierung mit Bescheid vom 4. Jänner 1964 zurückgewiesen worden; das Ordinariat habe in der Sache keine Parteirechte, daher auch kein Berufungsrecht.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des Ordinarius der Diözese G.-S.

Die Pfarrpfründe hat keine Beschwerde erhoben. Der Ordinarius hat die Beschwerde nur im eigenen Namen eingebracht. Er behauptet, durch den bekämpften Bescheid sei sein ihm selbst verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verletzt worden. In der Beschwerde wird nicht behauptet, es sei ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht der Pfarrpfründe verletzt worden. Soweit mit dem bekämpften Bescheid also auch die Berufung zurückgewiesen worden sein sollte, die durch das Ordinariat „namens” der Pfarrpfründe erhoben worden ist, die somit der Pfarrpfründe zuzurechnen ist, ist der Bescheid nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

II. 1. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den bekämpften Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, dem gesetzlichen Richter nicht entzogen zu werden, verletzt worden zu sein. Die Berufung sei nämlich rechtswidrigerweise zurückgewiesen worden. Zwei Rechtsquellen seien es, aus denen die Parteistellung des Ordinarius im Verwaltungsverfahren erfließe :

a) Artikel XIII § 2 des Konkordates räume ihm in der Sache ein Konsensrecht ein; damit sei ein rechtliches Interesse geschützt, dessen Träger er sei, daher sei er auch Partei im Sinne des § 8 AVG.

b) Aus Canon 1653 § 5 des geltenden kirchlichen Rechtsbuches ergebe sich, daß der Ordinarius als unmittelbares Organ der Pfarrpfründe einschreiten könne, demnach habe er im Hinblick auf Art. XIII des Konkordates Parteistellung.

2. Hierüber hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

Wäre die Berufung des Beschwerdeführers rechtswidrigerweise zurückgewiesen worden, so wäre er verfassungswidrigerweise seinem gesetzlichen Richter entzogen worden (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes). Dies trifft aber, wie die nachstehenden Ausführungen zeigen, nicht zu.

a) § 2 im Art. XIII des Konkordates, BGBl. II Nr. 2/1934, in der Fassung des Art. VIII Abs. 2 des Vertrages, BGBl. Nr. 195/1960, lautet:

„Das Vermögen der kirchlichen Rechtssubjekte wird durch die nach dem kanonischen Rechte berufenen Organe verwaltet und vertreten; bei Orden und Kongregationen gilt für den staatlichen Bereich bei Abschluß von Rechtsgeschäften der Lokalobere und, soweit es sich um Rechtsgeschäfte höherer Verbände handelt, der Obere des betreffenden Verbandes als der berufene Vertreter.

Die Gebarung mit dem kirchlichen Vermögen findet unter Aufsicht und Kontrolle der zuständigen Kirchenbehörden oder Ordensoberen statt. Ohne deren Zustimmung kann solches Vermögen weder veräußert noch belastet werden”.

Im Zusatzprotokoll, das einen wesentlichen Bestandteil des Konkordates bildet, heißt es dazu :

„Der Heilige Stuhl wird die Diözesanordinarien anweisen, bei intabulationspflichtigen Rechtsgeschäften auf der Urkunde nach vorheriger Überprüfung eine Klausel beizusetzen, daß gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung oder Verpflichtung kirchlicherseits kein Anstand obwaltet und daß die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hiezu berufen waren.”

Danach haben also die Organe der Kirche, die nach dem kanonischen Recht zur Verwaltung und Vertretung des Vermögens der kirchlichen Rechtssubjekte berufen sind, dieses Vermögen auch im staatlichen Rechtsbereich zu verwalten und zu vertreten (die Sonderbestimmung betreffend die Orden und Kongregationen kann in diesem Zusammenhang unbeachtet bleiben). Die diesbezüglichen Vorschriften des kanonischen. Rechtes sind insbesondere in den Canones 1.518 bis 1543 betreffend die Verwaltung des Kirchengutes und betreffend die Verträge über Kirchengut enthalten. Danach hat der Ortsordinarius die Aufsicht über die Verwaltung zu führen (Can. 1519). Eine Veräußerung von Kirchengut darf’ nur vorgenommen werden, nachdem der zuständige kirchliche Obere seine Erlaubnis dazu erteilt hat — gewisse Ausnahmen sind vorgesehen — (Can. 1530). Dies gilt auch für alle Verträge, durch die die wirtschaftliche Lage eines kirchlichen Institutes verschlechtert werden könnte (Can. 1533). Die in Rede stehenden Rechtsakte betreffend das Kirchengut, bedürfen demnach zwar der Zustimmung der kirchlichen Oberen, sie werden aber allein durch die zur Verwaltung des Gutes berufenen Organe gesetzt. Für den staatlichen Bereich enthält der letzte Satz im zweiten Absatz des Art. XIII § 2 des Konkordates eine ähnliche Regelung. Das zur Verwaltung und Vertretung des Vermögens eines kirchlichen Rechtssubjektes berufene Organ darf ohne Zustimmung der kirchlichen Aufsichtsbehörde solches Vermögen weder veräußern noch belasten. Dadurch wird zwar der Inhalt der Verwaltungs- und Vertretungsbefugnis des Organes gestaltet, es wird aber dadurch nicht die Aufsichtsbehörde zu einem das Vermögen mitverwaltenden und mitvertretenden Organ des kirchlichen Rechtssubjektes (als Vermögensträger), ihre Zustimmung hat lediglich die Feststellung zum Inhalt, daß „kein Anstand obwaltet” (vgl. die zitierte Stelle des Zusatzprotokollen). Sollte es im einzelnen Fall an der Zustimmung mangeln, so kann dieser Mangel wohl das materielle Wesen des Rechtsaktes berühren, er berührt aber nicht die Rechtsstellung der Aufsichtsbehörde. Der Verfassungsgerichtshof stimmt damit im Ergebnis mit dem Verwaltungsgerichtshof überein, der bereits mehrfach ausgeführt hat (Z1. 483/62-4 und 1518/62-1, vom 7. März 1963, sowie Slg. N. F. Nr. 3939/A vom 12. Jänner 1956 und Slg. N. F. Nr. 3371/A vom 6. April 1954), daß aus dem Aufsichtsverhältnis im Sinne des Art. XIII § 2 des Konkordates eine Befugnis, Ansprüche namens des den dort genannten kirchlichen Rechtssubjekten gehörenden Vermögens im Verwaltungsverfahren geltend zu machen, nicht abgeleitet werden kann. Erwähnt sei auch noch, daß der Verfassungsgerichtshof — entgegen der Meinung des Beschwerdeführers — im Erkenntnis vom 7. Dezember 1962, B 200/61, nichts Gegenteiliges ausgeführt hat.

Hier ist am Verwaltungsverfahren die Pfarrpfründe beteiligt. Weder die Diözese noch der Ordinarius sind am Verfahren unmittelbar beteiligt. Da der Ordinarius — wie aufgezeigt — kein Recht darauf hat, das Pfarrpfründenvermögen im Verwaltungsverfahren zu vertreten, ist er auch nicht mittelbar beteiligt. Wenn er aber am Verwaltungsverfahren überhaupt nicht beteiligt ist, dann kann er auch nicht Parteistellung haben, so daß ihm ein Berufungsrecht ebenfalls nicht zusteht.

Es braucht daher nicht untersucht zu werden, ob es in diesem Verwaltungsverfahren überhaupt um die Veräußerung oder Belastung kirchlichen Vermögens geht. Im Bescheid ist doch — wie oben dargestellt — von künftigen Grundablösungsverhandlungen die Rede; der Bescheid enthält außerdem nichts über die Notwendigkeit und das Ausmaß einer Enteignung.

b) Der § 5 im Canon 1653 CIC lautet:

„In casu vero defectus vel negligentiae illius qui administratoris munere fungitur, potent ipse loci Ordinarius per se vel per alium stare in iudicio nomine personarum moralium quae sub eius iurisdictione sunt”.

Bei Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche, Paderborn 1953, S. 94, ist der Inhalt der Stelle folgendermaßen in deutscher Sprache wiedergegeben:

„Hat eine moralische Person keinen Verwalter, oder kann bzw. will dieser sich um den Schutz ihrer Rechte nicht kümmern, dann kann der Ortsordinarius entweder die seiner Jurisdiktion unterstellten moralischen Personen vor Gericht vertreten, oder er kann mit dieser Vertretung einen anderen beauftragen.”

Die Gesetzesstelle steht im Vierten Buch (De processibus), dessen Erster Teil De iudiciis (bei Jone a. a. O.: Das kirchliche Gerichtswesen) handelt. §§ 1 und 2 des ersten Canon dieses Teiles (Can. 1552) lauten:

„§ 1. Nomine iudicii ecclesiastici intelligitur controversiae in re de qua Ecclesia ius habet cognoscendi, coram tribunali ecclesiastico, legitima disceptatio et definitio.

$ 2. Obiectum iudicii sunt:

1. ° Personarum physicarum vel moralium iura persequenda aut vindicanda, vel earundem personarum facta iuridica declaranda; et tunc iudicium est contentiosum;

2. ° Delicta in ordine ad poenam infligendam vel declarandam; et tunc iudicium est criminale.” In deutscher Sprache lautet die Wiedergabe bei Jone a. a. 0.:

„§ 1.

1. Dem Begriffe nach versteht man unter „kirchlichem Gericht” die vor einem kirchlichen Gerichtshof nach gesetzlich festgelegten Normen sich vollziehende Verhandlung und Entscheidung einer Streitfrage, die der richterlichen Gewalt der Kirche unterworfen ist.

§ 2.

Für die Einteilung der kirchlichen Gerichte ist der Gegenstand maßgebend, der verhandelt und entschieden wird.

n. 1.

Von einem Streitgericht spricht man, wenn es sich bei dem Gerichte um die Verfolgung oder um den Schutz gefährdeter oder verletzter Rechte physischer oder moralischer Personen handelt oder um Feststellung rechtlich erheblicher Tatsachen dieser Personen.

n. 2.

Bei einem Strafgericht handelt es sich um die Feststellung eines Deliktes zu dem Zwecke, eine Strafe zu verhängen oder zu erklären, eine vom Gesetze selbst verhängte Strafe sei bereits von selbst eingetreten.”

Die Sektion I dieses Ersten Teiles im Vierten Buch des CIC. ist mit „De iudiciis in genere” überschrieben, der I. Titel der Sektion lautet „De foro competenti”, der 11. Titel „De variis tribunalium gradibus et speciebus”, der III. Titel „De disciplina in tribunalibus servanda”, der IV. Titel „De partibus in causa”. Unter diesem IV. Titel befindet sich der oben im Wortlaut wiedergegebene Canon 1653 § 5.

Es ist offenkundig, daß das in dieser Gesetzesstelle normierte Vertretungsrecht des Ordinarius nur für das iudicum ecclesiasticum eingerichtet ist, das im Vierten Buch des CIC. geregelt ist. Es konnte keine Regelung gefunden werden, aus der sich ergibt, daß diese Spezialvertretungsbefugnis auch für Verfahren außerhalb des kirchlichen Gerichtsprozesses gilt. Im besonderen enthalten die oben zitierten Vorschriften des CIC. über die Verwaltung und die Veräußerung von Kirchengut (Canones 1518 bis 1543) darüber nichts. Schon gar nicht ist dem Konkordat diesbezüglich etwas zu entnehmen.

Die Ordinarii sind also durch Canon 1653 § 5 CIC. außerhalb kirchengerichtlicher Prozesse nicht zur Vertretung des Vermögens kirchlicher Rechtssubjekte im Sinne des Art. XIII § 2 erster Satz des Konkordates berufen. Der Meinung des Beschwerdeführers, die in Rede stehende Stelle des CIC. müsse auch im Verwaltungsverfahren vor staatlichen Behörden betreffend kirchliches Vermögen herangezogen werden, um eine bestehende Gesetzeslücke auszufüllen, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht beizupflichten. Es ist nämlich keine Gesetzeslücke ersichtlich. Wer das kirchliche Vermögen in diesem Falle zu vertreten hat, ist durch Art. XIII § 2 des Konkordates (vgl. die Ausführungen unter lit. a) in Verbindung mit den in Frage kommenden Bestimmungen des Kanonischen Rechts (im besonderen mit den bereits zitierten Canones 1518 bis 1543) lückenlos geregelt. Wenn der Beschwerdeführer etwa vermeint, die Gesetzeslücke bestehe darin, daß für den Fall rechtswidrigen oder unzweckmäßigen Handelns oder Unterlassens des zur Vertretung des Vermögens berufenen Organes nicht vorgesorgt ist, so muß ihm entgegengehalten werden, daß der Mangel einer solchen Vorsorge kein Mangel in der Regelung der Vertretungspflicht und der Vertretungsbefugnis ist.

Selbst wenn aber das Wort iudicium den Inhalt hätte, den ihm der Beschwerdeführer beimißt, wäre dadurch für seine Beschwerde nichts gewonnen. Durch die Handhabung des Canon 1653 § 5 CIC. wird nämlich die betreffende Sache nicht zu einer Sache des Ordinarius. Sie bleibt eine Sache der vertretenen moralischen Person, hier der Pfarrpfründe. Die zitierte Stelle des kirchlichen Gesetzbuches gibt dem Ordinarius kein Recht, im eigenen Namen aufzutreten. Gegenstand dieses Verfahrens ist aber — wie oben unter Abschnitt I dargestellt — nur die Zurückweisung der Berufung, die der Beschwerdeführer im eigenen Namen erhoben hat, nicht auch die Zurückweisung der Berufung, die namens der Pfarrpfründe erhoben worden ist.

c) Auch aus anderen Rechtsvorschriften kann nicht abgeleitet werden, daß der Beschwerdeführer an dem in Rede stehenden Verwaltungsverfahren vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt ist (§ 8 AVG. 1950).

Die Berufung des Beschwerdeführers ist zu Recht zurückgewiesen worden.

Im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ist der Beschwerdeführer also durch den bekämpften Bescheid nicht verletzt worden.

III. Da das Verfahren nicht ergeben hat, daß der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in irgendeinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist, war die Beschwerde abzuweisen.