Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, RGBI. Nr. 40/1872; keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen. Keine Verletzung des Gleichheitsrechtes, der Freiheit der Erwerbsausübung, der Freiheit der Meinungsäußerung, der Glaubens- und Gewissensfreiheit oder der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre
Erk. v. 5. Juni 1964, B 25/64
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 6. Dezember 1963 u. a. ausgesprochen, der Beschwerdeführer sei schuldig, die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er
1. in Vertretung des Hofrates Dr. R. in einer beim Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt eingebrachten Rechtsmittel-Eingabe vom 20. Oktober 1955 vorbrachte : „Frau Dr. R. oder der Rechtsreferent des Magistrates sind da offenbar nur ad personam eingeschaltet und ergreifen per nefas zugunsten eines der Streitteile Partei;”
2. a) am 4. Juli 1956 beim Landesgericht Klagenfurt namens des minderjährigen Franz E., vertreten durch seine Mutter Cäcilia W., gegen die Erben nach Dr. Konrad R. eine Klage auf Zahlung eines Geldbetrages als Ersatz des Schadens aus einem Verkehrsunfall überreichte, obwohl er hiezu weder vom gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Franz E., dem Bezirksjugendamt St. Veit/Glan, noch auch von der Kindesmutter einen Auftrag erhalten hatte;
b) vom Prozeßgericht zum Nachweis der vormundschaftsbehördlichen Ermächtigung zur Prozeßführung aufgefordert, beim Bezirksgericht Klagenfurt namens des Minderjährigen gleichfalls ohne Auftrag des gesetzlichen Vertreters oder der Mutter um vormundschaftsbehördliche Genehmigung der Prozeßführung ansuchte;
c) gegen die Verweigerung der Genehmigung den Rekurs an das Landesgericht Klagenfurt und gegen dessen bestätigende Entscheidung an den Obersten Gerichtshof ergriff, obwohl sich im Genehmigungsverfahren sowohl das Bezirksjugendamt als auch die Mutter gegen die Prozeßführung ausgesprochen hatten ;
3. in der Rechtssache des Bezirksgerichtes Klagenfurt als Vertreter des Beklagten Andreas Z. in der Revisionsschrift einen Revisionsgrund angezogen hat, der bei pflichtgemäßer Prüfung des Sachverhaltes und der Rechtslage als nicht gegeben erkannt werden konnte, die Revision daher zu keinem Erfolg geführt hat und deretwegen über den Beschwerdeführer vom Obersten Gerichtshof eine Mutwillensstrafe von 1000 S verhängt wurde.
Deswegen verhängte die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter über den Beschwerdeführer eine Geldbuße.
Dagegen führt der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG.
II. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den Bescheid in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere in den Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Gewissensfreiheit und auf Freiheit der Wissenschaft verletzt worden zu sein. Er beantragt, zu erkennen, daß sich die genannten „Disziplinierungen … als verfassungsgesetzwidrig” erweisen.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat darüber erwogen:
1. Das Gleichheitsrecht wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur dann verletzt, wenn der Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Vorschrift beruht oder wenn der Bescheid als Willkürakt der Behörde anzusehen ist (vgl. die ständige Rechtsprechung; u. a. B 232/61 vom 15. Dezember 1961, B 542/62 vom 10. Oktober 1963). Daß die Rechtsgrundlagen des Bescheides — sie werden im angefochtenen Bescheid nicht ausdrücklich zitiert; aus ihm geht aber in einer alle Zweifel ausschließenden Weise hervor, daß er sich auf das Disziplinarstatut, RGBI. Nr. 40/ 1872, stützt —, dem Gleichheitsgebot oder einer anderen Verfassungsvorschrift widersprechen, wurde nicht behauptet. Der Verfassungsgerichtshof hat diesbezüglich auch keine Bedenken.
Der Beschwerdeführer behauptet aber auch nicht, daß die Behörde Willkür geübt habe. Anhaltspunkte für ein willkürliches Vorgehen der belangten Behörde sind in keiner Weise hervorgekommen. Ins-besonders enthält auch das Vorbringen des Beschwerdeführers nichts dergleichen. Aus dem Verwaltungsgeschehen ergibt sich vielmehr, daß die Behörde bemüht war, eine richtige Entscheidung zu treffen. Hätte die Behörde dessenungeachtet unrichtig entschieden, so wäre dies verfassungsrechtlich ohne Bedeutung (vgl. die Rechtsprechung; z. B. B 216/62 vom 12. März 1963).
Im Gleichheitsrecht ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt worden.
2. Das Grundrecht der Freiheit der Erwerbsausübung kann durch den angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht verletzt worden sein. Der Beschwerdeführer wird nämlich durch den Bescheid in keiner Weise rechtlich gehindert, den Rechtsanwaltsberuf im Rahmen der Gesetze auszuüben. Der Verfassungsgerichtshof findet nicht, daß die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides das Gesetz, das den Rahmen bildet, denkunmöglich ausgelegt hat. Es widerspricht nämlich nicht den Denkgesetzen, den unter I. 1. bis 3. dargestellten Sachverhalt als Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung der Ehre und des Standes im Sinne des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, RGBI. Nr. 40/ 1872, zu werten. Jedenfalls ist die Qualifikation des Verhaltens des Beschwerdeführers als Verletzung der Pflichten seines Berufes und als die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigendes Benehmen (§ 39 Abs. 2 DSt.) — andere Unrechtstatbestände kennt das Disziplinarstatut nicht — denkmöglich. Bei der Feststellung des Sachverhaltes ist die belangte Behörde ebenfalls nicht in einer den Denkgesetzen widersprechenden Art und Weise vorgegangen. Auch die Beschwerde macht nichts dergleichen geltend.
Da nur ein Bescheid, der gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung des Gesetzes ergangen ist, eine rechtliche Behinderung der Ausübung der Erwerbsbetätigung darstellt, ergibt sich, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in keiner Weise in diesem seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist (vgl. Erkenntnis B 165/62 vom 13. März 1963 und Erkenntnis B 40/63 vom 15. Juni 1963).
1. Das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung gilt nicht uneingeschränkt. Art. 13 StGG. gewährleistet es nämlich nur innerhalb der Schranken des Gesetzes. Es kann also durch den bekämpften Bescheid nur verletzt worden sein, wenn das angewendete Gesetz verfassungswidrig ist oder wenn das Gesetz denkunmöglicherweise angewendet wurde (vgl. z. B. Erkenntnis B 378/61 vom 28. März 1962). Daß dies nicht zutrifft, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen unter Z. 1 und 2. Auch in diesem Recht ist also der Beschwerdeführer nicht verletzt worden.
2. Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit bezieht sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. Slg. 1207/1924, 3480/1958 u. a.) nur auf religiöse Fragen. Da der angefochtene Bescheid Fragen der religiösen Sphäre überhaupt nicht betrifft, kann der Beschwerdeführer durch ihn auch nicht in diesem Grundrecht verletzt worden sein.
3. Das Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre umfaßt das Recht der unbehinderten wissenschaftlichen Forschung und der unbehinderten Lehre der Wissenschaft (vgl. z. B. Erkenntnis 3068/1956). Der bekämpfte Bescheid berührt weder ein etwa gegebenes Recht des Beschwerdeführers zu lehren, noch behindert er eine etwaige Forschungstätigkeit des Beschwerdeführers.
IV. Auch eine Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Beschwerde war daher abzuweisen.