Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter (Unzuständigkeit). Die Organe der israelitischen Kultusgemeinden sind keine staatlichen Behörden. Die Ausschreibung der Kultusbeiträge ist eine innere Angelegenheit, die Gewährung des staatlichen Beistandes zur Einbringung eine äußere Angelegenheit der Religionsgesellschaft. Überprüfung eines Rückstandsausweises während des Exekutionsverfahrens.
Erk. v. 13. Oktober 1960, B 22/60.
Die Beschwerdeführer sind durch den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Dezember 1959 in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid wird daher als verfassungswidrig aufgehoben.
Entscheidungsgründe :
Die israelitische Kultusgemeinde Wien hat am 22. Feber 1954 einen Rückstandsausweis über die Kultussteuern für die Jahre 1951 – 1953, betreffend die Verlassenschaft nach Ing. Otto Z. ausgestellt und ihn mit dem Vermerk versehen, daß dieser Rückstandsausweis keinem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug unterliegt. Auf Grund dieses Rückstandsausweises beantragte sie am 30. Dezember 1957 beim Bezirksgericht Hernals die Bewilligung der Exekution durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung ob den Liegenschaftsanteilen der Beschwerdeführer an den EZ. 904 KG. Hernals, 613 KG. Währing und 421 KG. Simmering zur Hereinbringung von Kultussteuerrückständen in der Gesamthöhe von S 12.000 — mit der Begründung, daß die Beschwerdeführer auf Grund der Einantwortungsurkunde des Bezirksgerichtes Hietzing vom 27. April 1956 zu insgesamt 3/4 in den Nachlaß nach Ing. Otto Z. eingeantwortet worden sind. Diese Exekution wurde vom angerufenen Bezirksgericht bewilligt. Den dagegen erhobenen Rekurs der Beschwerdeführer hat das Landesgericht für ZRS. Wien mit Beschluß vom 16. September1958 mit der Begründung verworfen, daß es keine Veranlassung sehe, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen, nach der ein mit der Vollstreckbarkeitsbestätigung versehener Rückstandsausweis einer israelitischen Kultusgemeinde über Kultussteuerbeiträge einen Exekutionstitel gemäß § 3 VVG. 1950 darstellt. Dieser Beschluß wurde rechtskräftig, weil gegen ihn ein weiterer Rekurs nicht zulässig war.
Die Beschwerdeführer wendeten sich nunmehr an den Magistrat der Stadt Wien als Verwaltungsvollstreckungsbehörde erster Instanz und brachten am 18. Feber 1959 Einwendungen gegen den Rückstandsausweis der israelitischen Kultusgemeinde Wien unter Berufung auf § 36 EO. vor, in denen sie im wesentlichen ausführten, daß dem der Exekutionsbewilligung zugrunde liegenden Titel (Rückstandsausweis) jede gesetzliche Grundlage mangle. Sie beantragten, die Vollstreckbarkeit des gegen sie gerichteten Rückstandsausweises der israelitischen Kultusgemeinde Wien aufzuheben und die gerichtlich bewilligte Exekution als unzulässig zu erklären und einzustellen. Sie beantragen ferner, für den Fall der Ablehnung dieses Antrages, der Magistrat der Stadt Wien möge allenfalls die gemachten Angaben auf ihren strafrechtlichen Inhalt im Sinne des § 21 des Gesetzes, RGBI. Nr. 57/1890, untersuchen, wobei sich die Beschwerdeführer dem gegen die schuldigen Organe der Kultusgemeinde Wien einzuleitenden Strafverfahren anschlossen; und schließlich, die gemachten Angaben zum Anlaß zu nehmen, gemäß § 30 dieses Gesetzes staatsbehördlich einzuschreiten.
Der Magistrat der Stadt Wien wies die „Einwendungen gemäß § 36 EO.” mit Bescheid vom 1. Juni 1959 ab. Der Eventualantrag der Beschwerdeführer fand nach dem Inhalt der Verwaltungsakten keine Erledigung.
Die Beschwerdeführer beriefen. Das Bundesministerium für Inneres hat mit Berufungsbescheid vom 21. Dezember 1959 den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 1. Juni 1959 wegen Unzuständigkeit des Magistrates der Stadt Wien aufgehoben.
In der dagegen erhobenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde behaupten die Beschwerdeführer, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein. Da von den vier Beschwerdeführern nur Georg Z. österreichischer Staatsbürger ist, wurde die Behauptung der Verletzung des Rechtes der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ausdrücklich auf diese Person eingeschränkt.
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Verwaltungsbehörde bei Erlassung des Bescheides eine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, die ihr nach dem Gesetze nicht zukommt, oder wenn sie ihre Zuständigkeit in gesetzwidriger Weise ablehnt.
Die Beschwerdeführer hatten eine verwaltungsbehördliche Entscheidung über ihre Einwendungen gegen den Rückstandsausweis der israelitischen Kultusgemeinde mit dem Antrag begehrt, die Vollstreckbarkeit dieses Rückstandsausweises aufzuheben, die vom Gerichte bewilligte Exekution für unzulässig zu erklären und das gerichtliche Exekutionsverfahren einzustellen. Sie bezeichnen diesen Antrag als „Einwendungen nach § 36 EO.”; ihrem Inhalte nach sind jedoch diese „Einwendungen” ein Antrag gemäß § 7 Abs. 4 EO.; denn die Beschwerdeführer begehren vor allem, wie in dieser Gesetzes-stelle vorgesehen, die Aufhebung einer nach ihrer Meinung gesetzwidrig erteilten Vollstreckbarkeitsbestätigung.
a) Daß keine Verwaltungsbehörde zuständig ist, ein Gerichtsverfahren für unzulässig zu erklären und einzustellen, liegt auf der Hand. Eine gesetzliche Bestimmung, die dies ermöglicht, besteht nicht und wäre, wenn sie bestünde, im Hinblick auf Art. 94 B.-VG. verfassungswidrig.
b) Es war daher nur zu untersuchen, ob die angegangenen Verwaltungsbehörden zuständig waren, über den Antrag der Beschwerdeführer auf Aufhebung der in Rede stehenden Vollstreckbarkeitsbestätigung zu entscheiden.
Im vorliegenden Falle handelt es sich um einen Rückstandsausweis der israelitischen Kultusgemeinde Wien, betreffend Kultussteuerbeträge. Da es sich um eine Geldleistung handelt, hat die anspruchsberechtigte israelitische Kultusgemeinde Wien im Sinne des § 3 Abs. 3 VVG. 1950 ihre Eintreibung unmittelbar beim zuständigen Gericht beantragt, weil ihr nach ihrer Auffassung zur Eintreibung dieser Geldleistungen die Einbringung im Verwaltungswege (politische Exekution) gewährt ist. Das angegangene Gericht hatte diese Exekution bewilligt. Die Beschwerdeführer haben mit ihrem Antrag an den Magistrat der Stadt Wien die Aufhebung der Vollstreckbarkeit des den Exekutionstitel bildenden Rückstandsausweises der israelitischen Kultusgemeinde Wien begehrt. Für derartige Fälle bestimmt § 7 Abs. 4 EO., daß Anträge auf Aufhebung einer gesetzwidrigen oder irrtümlich erteilten Vollstreckbarkeitsbestätigung bei jener Stelle anzubringen sind, von der der Exekutions- titel ausgegangen ist. Eine gleichartige Bestimmung findet sich im § 3 Abs. 2 zweiter Satz VVG. 1950 betreffend Einwendungen im Sinne des § 35 .EO. Diese Bestimmungen zeigen, daß der Gesetzgeber grundsätzlich ein Verfahren zur Überprüfung von Vollstreckbarkeitsbestätigungen und damit auch von Rückstandsausweisen vorgesehen hat, in dem die Betroffenen Parteien sind und einen Anspruch auf Entscheidung über ihre Anträge haben. Allerdings sind diese Anträge nach den angeführten Gesetzesbestimmungen bei der Stelle anzubringen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist. Der Gesetzgeber hatte aber nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes bei dieser Regelung nur Fälle in Betracht gezogen, in denen die Stelle, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist, eine staatliche Behörde ist. Dies trifft jedoch im vorliegenden Fall nicht zu; denn die israelitische Kultusgemeinde Wien und ihre Organe sind keine staatlichen Behörden. Vielmehr handelt es sich um eine gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaft, die gemäß Art. 15 StGG. außerhalb der staatlichen Behördenorganisation steht (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 17.031 A/1932). Der Verfassungsgerichtshof ist nun der Meinung, daß in diesen Fällen, weil § 7 Abs. 4 EO. (ebenso wie § 3 Abs. 2 zweiter Satz VVG. 1950) jedenfalls ein geregeltes Verfahren vor einer staatlichen Behörde im Auge hat, an die Stelle der in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Anbringungsstelle eine staatliche Behörde tritt.
Im konkreten Fall liegt unbestrittenermaßen eine Angelegenheit der Kultusverwaltung vor. Die Ausschreibung von Kultusbeiträgen ist zwar zunächst eine innere Angelegenheit der betreffenden gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft; sobald aber der Staat zur Einbringung dieser Beiträge seinen Beistand leistet (§ 22 des Gesetzes betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft, RGBl. Nr. 57/1890), wird die Angelegenheit, soweit es sich um die Frage der Gewährung des staatlichen Beistandes handelt, zu einer äußeren Angelegenheit und somit zu einer Angelegenheit des Kultus im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Z. 13 B.-VG. Zur Entscheidung in solchen Angelegenheiten sind daher die Kultusbehörden des Bundes zuständig. Das sind in bezug auf die israelitische Religionsgesellschaft bei Berücksichtigung der durch das B.-VG. bewirkten Änderungen gemäß § 1 der Verordnung RGBl. Nr. 96/1897 die Sonderfälle der §§ 2 und 3 dieser Verordnung kommen für den vorliegenden Fall nicht in Betracht — in Wien in erster Instanz der Magistrat der Stadt Wien und in zweiter Instanz der Bundesminister für Unterricht.
Im vorliegenden Beschwerdefall hat nun der Magistrat der Stadt mit seinem Bescheid vom 1. Juni 1959 über die Anträge der Beschwerdeführer eine Sachentscheidung gefällt. Über die dagegen eingebrachte Berufung hat aber nicht der Bundesminister für Unterricht, sondern der Bundesminister für Inneres entschieden. Dieser war hiezu nach obigen Ausführungen nicht zuständig. Es wurden daher die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher als verfassungswidrig aufzuheben.