Benützung der Straßenfläche zu anderen als zu Verkehrszwecken (Werbetätigkeit durch religiöse Ansprachen) ohne Bewilligung. Freiheit der Meinungsäußerung. „Öffentliche Ordnung” als Inbegriff der die Rechtsordnung beherrschenden Grundgedanken. Anbietung von Presseerzeugnissen. Voraussetzung der Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter durch die Oberinstanz. Gleichheit. Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Erk. v. 11. März 1959, B 185, 186/58.
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer am 12., April 1958 gegen 15.40 Uhr auf dem Gehsteig der Bundesstraße 1 in Götzis Zeitschriften und Flugblätter der „Zeugen Jehovas” zu vertreiben versuchte und dabei zu den Straßenpassanten über religiöse Dinge gesprochen hat. Der Beschwerdeführer meint allerdings, daß dies nur eine Anpreisung der angebotenen Presseprodukte gewesen sei, gibt aber in der Beschwerde zu, vom Königreich Gottes, von der Notwendigkeit, Gott zu verehren, zu ihm zu beten und ihm zu dienen, gesprochen zu haben. In der Rechtfertigungsschrift hat der Beschwerdeführer diese Tätigkeit selbst als eine Art des Predigens bezeichnet. Wegen dieses Verhaltens hat die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch über den Beschwerdeführer wegen Übertretung nach § 12 Abs. 1 StPolO., BGBl. Nr. 59/1947, gemäß § 72 StPolG., BGBl. Nr. 46/1947, eine Geldstrafe von S 100 — verhängt; sie qualifizierte dabei das Verhalten des Beschwerdeführers als eine verkehrshindernde, mit Zeitschriften und Flugblättern ausgeübte Werbetätigkeit, die über den Vertrieb von Druckwerken hinausging und damit eine an eine Bewilligung gebundene Benutzung einer öffentlichen Verkehrsfläche darstellt. Der Landeshauptmann von Vorarlberg hat die Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen, aber den Spruch dahin abgeändert, daß als strafbares Verhalten die Werbetätigkeit Ansprachen an die Straßenpassanten und damit die Benutzung der Straßenfläche zu anderen als zu Verkehrszwecken ohne die erforderliche Bewilligung angenommen wurde.
1. Der Beschwerdeführer macht vor allem die Verletzung des Grundrechtes nach Art. 13 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbrüger, RGBI. Nr. 142/1867 (,SGG.), geltend. Nach Abs. 1 dieses Art. 13 hat jedermann das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung inner- halb der gesetzlichen Schranken zu äußern. Nach Abs. 2 darf die Presse weder unter Zensur gestellt noch durch das Konzessionssystem beschränkt werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine Anwendung.
a) Art. 13 Abs. 1 StGG. enthält den Gesetzesvorbehalt. Ähnliches gilt für das im vorliegenden Fall gleichfalls in Betracht kommende Grundrecht der freien Religionsausübung, weil nach Art. 63 Abs. 2 des Staatsvertrages von St. Germain, StGB. Nr. 303/1920, alle Einwohner Österreichs das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, nur haben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten- Sitten unvereinbar ist; unter derer Begriff der öffentlichen Ordnung ist dabei der Inbegriff der die Rechtsordnung beherrschenden Grundgedanken zu vorstehen (Erkenntnis vom 19. Dezember 1955, Slg. Nr. 22944), sohin auch die Grundgedanken des Straßenpolizeirechtes. Nun bestimmt § 11 Abs. 1 des daß — von gewissen hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen — jede Benützung von Straßen und des darüber befindlichen, für die Sicherheit des Verkehrs in Betracht kommenden Luftraumes, wenn sie zu anderen als zu Zwecken des Verkehrs erfolgt (z. B. zu gewerblichen Tätigkeiten, Wirtschaftswerbung), einer besonderen Bewilligung bedarf. Gegen diese Gesetzesbestimmung bestehen keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken. Die im vorliegenden Falle angewendete Bestimmung des § 12 Abs. 1 StPolO. deckt sich irrörtlich mit dieser Bestimmung des StPolG., so daß auch hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit dieser Verordnungsstelle keinerlei Bedenken bestehen. Es ist ein verfassungsrechtlich unbedenklicher Grundgedanke des österreichischen Straßenpolizeirechtes, daß Straßen ohne besondere Bewilligung nur zu Verkehrszwecken benützt werden dürfen.
Es kann nun dahingestellt bleiben, ob das Verhalten des Beschwerdeführers am 12. April 1958 in Götzis nach den zitierten Bestimmungen des Straßenpolizeirechtes im Zusammenhang mit § 66und § 72 StPolG. bestraft werden durfte. Denn dies ist eine Frage der richtigen Anwendung eines einfachen Bundesgesetzes, worüber zu erkennen nicht der Verfassungsgerichtshof berufen ist. Für die Frage der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte mit Gesetzesvorbehalt oder Vorbehalt der öffentlichen Ordnung kommt es lediglich darauf an, ob in ein solches Recht auf Grund eines Gesetzes oder gesetzlos eingegriffen wurde. Ein gesetzloser Eingriff liegt aber nur vor, wenn sich der angefochtene Bescheid überhaupt auf’ kein Gesetz oder nur auf ein verfassungswidriges Gesetz stützt oder wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz in denkunmöglicher Weise oder nur zum Schein angewendet wurde. Daß gegen die im angefochtenen Bescheid angewendeten Bestimmungen des Straßenpolizei-rechtes keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen und daß sie den Grundgedanken der österreichischen Rechtsordnung entsprechen, wurde bereits dargetan, insbesondere bestehen auch keine Bedenken in der Richtung, daß etwa diese Bestimmungen den Wesensgehalt der Grundrechte der freien Meinungsäußerung oder der freien Religionsausübung antasten. Der Verfassungsgerichtshof konnte auch nicht finden, daß das Verhalten des Beschwerdeführers, für das er bestraft wurde, unter die zitierten Bestimmungen des Straßenpolizeirechtes überhaupt nicht unterstellt werden konnte und daher diese Bestimmungen in denkunmöglicher Weise angewendet wurden, wenn auch vielleicht diese Bestimmungen im vorliegenden Fall unrichtig angewendet wurden. Es ist auch im Verfahren kein Anhaltspunkt dafür hervorgekommen, daß diese Bestimmungen nur zum Schein angewendet worden wären. Schon aus diesem Grund kann also ein verfassungswidriger Eingriff in die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Freiheit der Religionsausübung nicht vorliegen.
b) Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, er sei durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht, Presseerzeugnisse anzubieten, behindert, so übersieht er zunächst, daß er nur wegen unbefugter Benutzung einer Straße zu anderen als Verkehrszwecken durch sein Verhalten auf der Bundesstraße Nr. 1 in Götzis bestraft wurde, nicht aber wegen Anbietens und Anpreisens von Presseerzeugnissen. Sein Einwand steht daher mit dem strafbaren Verhalten, das die belangte Behörde als erwiesen angenommen hat, überhaupt in keinem Zusammenhang und geht daher fehl. Die Frage aber, ob die erwähnten Bestimmungen des Straßenpolizeirechtes im Hinblick auf § 9 des Pressegesetzes richtig angewendet wurden, ist wieder eine Frage der richtigen Anwendung eines einfachen Bundesgesetzes, über die nicht der Verfassungsgerichtshof, sondern der Verwaltungsgerichtshof zu erkennen hat. Denn auch in dieser Hinsicht konnte der Verfassungsgerichtshof nicht finden, daß die angewendeten Bestimmungen desStraßenpolizeirechtes in denkunmöglicher Weise oder nur zum Schein angewendet wurden.
2. Der Beschwerdeführer sieht ferner einen rechtlichen Fehler des angefochtenen Bescheides darin, daß der Inhalt des angefochtenen Bescheides mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch im Widerspruch steht. Nun wäre allerdings der Beschwerdeführer seinem) gesetzlichen Richter entzogen, wenn die Berufungsbehörde einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand ihrer Berufungsentscheidung gemacht hätte als die Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz. Das ist aber nicht der Fall. Beide Instanzen haben dasselbe Verhalten zum Gegenstand ihrer Entscheidung gemacht, nämlich die Vorgänge vom 12. April 1958 in der Zeit um 15.40 Uhr in Götzis. Die belangte Behörde hat lediglich das Verhalten anders qualifiziert als die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch. Zu einer solchen anderen rechtlichen Qualifikation war aber die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG. 1950 im Zusammenhang mit § 24 VStG. 1950 berechtigt.
3. Die Beschwerde führt ferner aus, daß es sich um die Verbreitung von Presseerzeugnissen religiösen Inhaltes gehandelt habe, die in Österreich nicht verboten sei. Sie sei bei anderen religiösen Bekenntnissen gestattet und es geschehe auch, daß Zeitschriften beim öffentlichen Verkauf ausgerufen werden, damit man gleich sehe, um welches religiöse Bekenntnis es sich handelt. Dieses Recht müsse auch dem Beschwerdeführer als Mitglied der Zeugen Jehovas zustehen.
In diesem Zusammenhang steht offenbar auch die Rüge des Beschwerdeführers, mit (]er Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht daß die belangte Behörde den Inhalt der feilgebotenen Presseprodukte nicht geprüft habe, weil sich bei einer solchen Prüfung ergeben hätte, daß es sich um Presseprodukte religiösen Inhaltes handelte. Da die belangte Behörde aber die strafbare Handlung nicht im Verbreiten von Presseprodukten erblickte, sondern in der unbefugten Benützung der Straße zu anderen als Verkehrszwecken durch ein über das bloße Anpreisen von Presseprodukten hinausgehendes Verhalten, steht der Inhalt der feilgebotenen Presseprodukte mit dem vorliegenden Straffall überhaupt in keinem Zusammenhang und es ist völlig unerfindlich, inwiefern die unterbliebene Feststellung des Inhaltes der feilgebotenen Druckwerke überhaupt zu einer Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hätte führen können.
Sollte der Beschwerdeführer aber mit diesen Ausführungen etwa geltend machen wollen, daß sein Verhalten von der belangten Behörde im Gegensatz zum gleichartigen Verhalten der Angehörigen anderer religiöser Bekenntnisse aus willkürlichen, unsachlichen, nämlich im religiösen Bekenntnis des Beschwerdeführers gelegenen Erwägungen als strafbar qualifiziert wurde, und daß damit eine Verletzung der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz erfolgt sei, so fehlt für eine solche Behauptung nicht nur jeder Anhaltspunkt in den Verwaltungsakten, sondern auch der Beschwerdeführer selbst hat in dieser Richtung keinerlei konkrete Tatsachen vorgebracht. Eine Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bescheide unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetz kann demnach nicht festgestellt werden.
4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem anderen als den in der Beschwerde geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich festzustellen, daß der Beschwerdeführer die Verletzung des Grundrechtes der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 14 StGG.), die er in seiner Rechtfertigung behauptete, in der Beschwerde selbst nicht mehr aufrecht erhalten hat. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.