Gesetzlicher Richter. Ablehnung der Sachentscheidung durch eine unzuständige Behörde. Beamtenüberleitung. Gleichheit vor dem Gesetz. Das Recht auf gleiche Zugänglichkeit der öffentlichen Ämter wird nur durch Verweigerung der Bewerbung um ein öffentliches Amt verletzt. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit bezieht sich nur auf religiöse Fragen.
Erk. v. 17. Dezember 1958, B 146/58.
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Mit Erk. des Oberlandesgerichtes Wien als Disziplinargericht vom 13. Dezember 1934, ist der Beschwerdeführer, der damals Hilfsrichter des Oberlandesgerichtssprengels war, verschiedener Dienstvergehen (Betätigung für die Nationalsozialisten) schuldig befunden und „zur Disziplinarstrafe der Versetzung in den Ruhestand auf unbestimmte Zeit mit Verminderung der normalmäßigen Ruhestandsgenüsse auf 2/3″ verurteilt worden. Der Disziplinarsenat des Obersten Gerichtshofes hat in seinem Berufungserkenntnis vom 21. Februar 1935 dieselbe Strafe ausgesprochen. Ruhebezüge sind dem Genannten aber nie angewiesen worden; es wurde ihm vielmehr — offenbar in Anwendung der Vorschrift des § 3 Abs. 3 des Pensionsgesetzes 1921, BGBl. Nr. 735 (dies ist. aus der Begründung des erstinstanzlichen Erkenntnisses zu schließen, in dem es heißt, daß der Beschuldigte auf keinen fortlaufenden Ruhegenuß, sondern nur auf eine Abfertigung Anspruch hat) — eine Abfertigung ausbezahlt, die um ein Drittel gekürzt war. Der Beschwerdeführer wurde erst während der Okkupationszeit wieder in Dienst gestellt; er schied dann im Jahre 1940 aus dem Justizdienst des Deutschen Reiches aus und trat in den Dienst der Gemeinde Wien. „Im Zeitpunkt der Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft” (§ 8 B.-ÜG. vom 22. August 1945, StGBl. Nr. 134) stand er dort in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Mit Schreiben vom 24. Juni 1948 hat der Liquidator der Einrichtungen des Deutschen Reiches in der Republik Österreich (Justizverwaltung) dem Beschwerdeführer bekanntgegeben, daß er gemäß § 18 lit. b des Verbotsgesetzes 1947 von Gesetzes wegen aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis entlassen ist, da er mit Urteil des Volksgerichtes Wien vom 29. Mai 1947 der Verbrechen nach §§ 10 und 11 des Verbotsgesetzes 1947 schuldig befunden worden war. Am 23. September 1957 stellte Dr. Herbert P. beim Präsidium des Oberlandesgerichtes Wien unter Hinweis auf § 45 der NS-Amnestie 1957, BGBl. Nr. 82, den Antrag „auf Übernahme in den Personalstand bzw. Versetzung in den Ruhestand”. Der Bundesminister für Justiz hat mit Erlaß vom 18. April 1958 (dem Beschwerdeführer mitgeteilt mit Schreiben des Oberlandesgerichtspräsidenten Wien vom 6. Mai 1958) festgestellt, daß seine Zuständigkeit zur Entscheidung über das unter Berufung auf § 45 Abs. 3 der NS-Amnestie gestellte oben umschriebene Begehren nicht gegeben ist. Der Bundesminister für Justiz hat dazu bemerkt. daß Dr. Herbert P. am 13. März 1938 in keinem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stand, daß irgendein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zur österreichischen Justizverwaltung nach dem 21. Februar 1935 niemals mehr bestanden habe, und daß Dr. P. seit 31. März 1940 Beamter der Gemeinde Wien gewesen sei; eine Übernahme auf die neuen Personalstände werde nicht in Erwägung gezogen, die Voraussetzungen für eine Versetzung in den dauernden Ruhestand lägen nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die der Mitteilung des Bescheides durch den Oberlandesgerichtspräsidenten Wien vom 6. Mai 1958 beigefügte Entscheidung dieser Behörde, betreffend die Nachzahlung von Dienstbezügen für die Zeit vom 30. Juni 1945 bis 18. Februar 1947 ist durch die Beschwerde nicht angefochten worden.
2. Vor allem ist die Behauptung des Beschwerdeführers zu prüfen, er sei durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Die Behauptung des Beschwerdeführers würde zutreffen, wenn die Weigerung des Bundesministers für Justiz, in der Sache zu entscheiden, nach dem Gesetz zu Unrecht erfolgt wäre (vgl. Erk. Slg. Nr. 2095/1951, 2959/1956, 3139/1956 u. a.). Dies ist aber nicht der Fall, wie nachstehende Ausführungen zeigen.
Durch die NS-Amnestie 1957 wurde bewirkt, daß Beamte, die bis dahin im Hinblick auf die Auswirkungen der NS-Gesetzgebung nicht nach dem B.-ÜG. zu behandeln waren, nunmehr auch nach diesem Gesetz zu behandeln sind, wenn sie es „bei der für die dienstrechtliche Verfügung zuständige Stelle” beantragen. Die vom Beschwerdeführer beantragte dienstrechtliche Verfügung der „Übernahme in den Personalstand bzw. Versetzung in den Ruhestand” könnte in seinem Fall nur auf Grund des § 7 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 oder 4 bzw. des § 8 Abs. 1 und 2 BXG. erfolgen. Zuständig hiefür ist lediglich eine Behörde, deren Aktivstand der Beschwerdeführer entweder am 13. März 1938 oder im Zeitpunkte der Beseitigung der NS-Gewaltherrschaft bzw. zu beiden Terminen angehört hat. Die dienstrechtliche Zuständigkeit an diesen beiden Stichtagen ist also formelle Voraussetzung für die Zuständigkeit zur Handhabung der zitierten Bestimmungen des B.-ÜG. Der Beschwerdeführer stand am 13. März 1938 in keinem österreichischen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis bei irgendeiner öffentlichen Dienststelle, er gehörte also damals insbesondere nicht dem Stand der aktiven Beamten im Bereich des Bundesministers für Justiz an. Er war am 13. März 1938 nicht einmal Empfänger von Ruhe- und Versorgungsgenüssen aus einem österreichischen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Beschwerdeführer auf Grund von Verfügungen, die nach dem 13. März 1938 ergangen sind, den Dienst beim Oberlandesgericht Wien am 17. März 1938 angetreten hat und mit Wirkung vom 1. März 1938 in den Dienststand übernommen worden ist. Diese Verfügungen sind von Behörden des Deutschen Reiches getroffen worden; ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis bei einer österreichischen Dienststelle konnte dadurch weder begründet noch wiederhergestellt werden. Der Beschwerdeführer befand sich aber auch im Zeitpunkt der Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in keinem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis innerhalb des Justizressorts, denn er war ja im Jahre 1940 über eigenes Ansuchen aus dem Justizdienst des Deutschen Reiches entlassen worden. Der belangten Be- hörde fehlt demnach die Zuständigkeit, den Beschwerdeführer nach § 7 oder § 8 B.-ÜG. zu behandeln (die Behandlung im Sinne des § 8 erfolgte durch den Wiener Stadtsenat am 14. Jänner 1958 auf Grund der gleichartigen Vorschrift des § 140 der Dienstordnung für die Beamten der Bundeshauptstadt Wien). Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag somit nicht „bei der für die dienstrechtliche Verfügung zuständigen Stelle” eingebracht. Die Bekanntgabe des Liquidators der Einrichtungen des Deutschen Reiches in der Republik Österreich (Justizverwaltung) vom 24. Juni 1948, betreffend die Entlassung ex lege – ob und inwieweit sie richtig war, da der Beschwerdeführer doch schon im Jahre 1940 aus dem Deutschen Justizdienst ausgeschieden ist, mag dahingestellt bleiben – ist in diesem Zusammenhang nicht relevant, weil sie weder die Feststellung enthält, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Beseitigung der NS-Gewaltherrschaft im Justizdienst stand, noch eine solche Feststellung für den 13. März 1938 -zum Inhalt hat. Da die belangte Behörde eine Sachentscheidung somit zu Recht abgelehnt hat, ist es ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden ist. Dies wäre vielmehr der Fall gewesen, wenn der angefochtene Bescheid eine Sachentscheidung, gestützt auf das B.-ÜG., zum Inhalt gehabt hätte. Die Beschwerde war demnach in diesem Punkt unbegründet.
3. a) Der Beschwerdeführer behauptet außerdem, er sei durch die Feststellung, daß er am 13. März 1938 in keinem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gestanden sei, im Gleichheitsrecht verletzt worden, denn es werde ihm die Zeit vom 21. Februar 1935 bis zum 31. März 1940 überhaupt nicht angerechnet. Dem muß entgegengehalten werden, daß obige Feststellung, die lediglich eine Vorfrage betraf und daher eine Gleichheitsverletzung für sich allein nicht bewirken konnte, richtig war, daß die Behörde gebunden war-sie zu treffen, und daß die Behörde u. a. dadurch weiters gebunden war, in der Hauptsache ihre Unzuständigkeit festzustellen; dies ergibt sich aus den Ausführungen unter Z. 2. Durch eine Feststellung, die zu treffen eine Behörde gesetzlich verpflichtet ist, kann das Gleichheitsrecht aber nicht verletzt werden.
b) Der Beschwerdeführer vermeint außerdem, es liege eine Verletzung des Gleichheitsrechtes in der Verweigerung der Übernahme in den neuen Personalstand. Dagegen muß betont werden, daß die in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltene Mitteilung der belangten Behörde, eine Übernahme in den neuen Personalstand werde in Erwägung gezogen, weder Spruchinhalt des Bescheides ist, noch eine Vorfrage betrifft. Allein schon aus diesem Grunde kann diese Mitteilung eine Verletzung des Gleichheitsrechtes nicht bewirken. Sonstige Umstände, die eine Verletzung des Gleichheitsrechtes bewirken würden, sind weder geltend gemacht worden, noch im Verfahren hervorgekommen.
4. Der Beschwerdeführer macht überdies geltend, er werde durch die Nichtübernahme in den neuen Personalstand des Bundesministeriums für Justiz in seinem Recht auf gleiche Zugänglichkeit der öffentlichen Ämter verletzt. Auch diese Behauptung kann nicht stichhältig sein. Eine Verletzung des Art. 3 SGG. ist nur gegeben, wenn die Bewerbung um ein öffentliches Amt verweigert wird (Erk. SIg. Nr. 415); dein Beschwerdeführer ist aber eine Bewerbung um ein öffentliches Amt nicht verweigert worden.
5. Der Beschwerdeführer vermeint schließlich, durch die Mitteilung, daß seine Übernahme in den neuen Personalstand nicht in Erwägung gezogen sei, auch in seinem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt worden zu sein, weil dieses Recht im Sinne der NS-Amnestie 1957 auch für eine frühere politische Überzeugung zu gelten hat.
Abgesehen davon, daß diese Mitteilung — wie oben ausgeführt —nicht durch die Rechtskraft des Bescheides erfaßt ist, muß dieser Meinung des Beschwerdeführers entgegengehalten werden, daß sich die Freiheit des Glaubens und des Gewissens nur auf religiöse Fragen bezieht, nicht aber auch auf Fragen einer allgemeinen Weltanschauung (Erk. Slg. Nr. 1207); keinesfalls aber bezieht sich dieser Schutz auf Fragen des nationalsozialistischen Gedankengutes.
Die Beschwerde war daher auch in diesem Punkt verfehlt.
6. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Im Zusammenhang mit den vorstehenden Ausführungen ergibt sich daraus, daß die Beschwerde unbegründet und somit abzuweisen war.